Yin-Yoga

Yin und Yang in der Yogapraxis

Was ist Yin Yoga?
Unserer Welt, unserem Tun, Denken und Fühlen ist das Prinzip der Dualität eigen. Sein gibt es nicht ohne Nichtsein, Licht gibt es nicht ohne Dunkelheit, Tag nicht ohne Nacht, Leben nicht ohne Tod. Stärke und Schwäche, Schwarz und Weiß. Die Gegensätze sind untrennbare Teile der Welt. Sie bedingen sich gegenseitig und bringen sich gegenseitig hervor. In der traditionellen östlichen Weltsicht wird dieses universelle Prinzip mit Yin und Yang repräsentiert und bezeichnet.

Im Yoga finden wir dieses Prinzip wieder. Anspannung folgt Entspannung, Vorbeuge und Rückbeuge, Einatmen und Ausatmen. So gibt es auch gegensätzliche Stile, Yoga zu praktizieren. Hatha Yoga folgt dem Prinzip des Yang und Yin Yoga trägt seine Bestimmung im Namen.

Yang, die männliche Seite, ist aktiv, wärmend, aufsteigend, nach außen gerichtet, voll Licht und Kraft. Yin, die weibliche Seite, ist passiv, kühlend, empfangend und richtet sich nach unten und nach innen und wird mit Dunkelheit und Entspannung verbunden.

Yin Yoga ist mit dieser Bezeichnung ein relativ junger Yogastil. In den westlichen Ländern begann der Yogalehrer Paulie Zink Ende der 1970er Jahre, Yin Yoga zu unterrichten. Es wurde dann durch Paul Grillys und Sarah Powers weiterentwickelt und in Amerika und Europa bekannt gemacht.

Die Yin Yoga Übungen bewirken im Körper eine moderate Beanspruchung der Sehnen, Faszien und Bänder, dehnen die Muskeln und verbessern die Beweglichkeit der Gelenke. Der Austausch von Flüssigkeit im Bindegewebe durch die mechanische Beanspruchung führt zur verstärkten Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen und belebt den Abtransport von Schlacken aus den Zellen. Die Zellen sind gesünder und vitaler. Die vielfach verwobenen Faszien können sich lösen und der Bewegungsspielraum der Muskeln wird erhöht. Die einzelnen Muskelstränge gleiten besser aneinander und muskuläre Verspannungen können sich lösen. Schmerzen in den Muskeln, die durch Irritationen der Sensorpunkte in den verklebten Faszien entstehen, können sich wieder auflösen und erlauben eine weitere Entspannung der Muskulatur. Schmerzen verschwinden. Es werden dadurch weniger Stresshormone im Körper gebildet, davon profitieren das Nervensystem, das Immunsystem, die Verdauung und unser Wohlbefinden insgesamt.

Unter dem meditativen Aspekt kultiviert Yin Yoga die Achtsamkeit und innere Stille, erdet dich und leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbindung von Körper und Geist zu einer harmonischen Einheit.

Die Praxis im Yin Yoga folgt einem achtsamen Prinzip. Sei achtsam mit dir selbst und spüre deinen Körper bewußt. Gehe in jede der Posen immer nur soweit, bis du deine Grenzen fühlen kannst. Versuche nicht tiefer zu gehen, gib deinem Körper die Gelegenheit, sich zu öffnen, die Grenzen zu erfahren und die Veränderungen zu spüren. Zwinge deinem Körper nicht deinen Willen auf. Yoga und speziell Yin Yoga ist kein Wettkampf zwischen dir und deinem Körper. Betrachte es wie eine Balance, einen Paartanz, der im Loslassen harmonisch fließt und sich gleichzeitig fordernd und nachgiebig zeigt.

Das Wesen von Yin ist nachgeben. Im Gegensatz zu Yang, das voll Kraft die Welt verändert, akzeptiert Yin die Welt, wie sie ist, nimmt sie an. Wenn wir auf unser tägliches Leben schauen und auch auf unsere Hatha Yogapraxis, dann wird deutlich, wie sehr wir auf das Yang-Prinzip ausgerichtet sind. Wir werden aufgefordert, etwas zu leisten, etwas aus uns machen, um die Welt zu verändern und Spuren zu hinterlassen. Jedoch werden wir selten angehalten, unsere Anstrengungen auszubalancieren, zu akzeptieren was ist. Wir hatten kaum Gelegenheit zu lernen, uns nicht anzustrengen, loszulassen und zuzulassen, dass sich Dinge oder Prozesse selbst entfalten. So ist es Teil der Yin Yogapraxis zu lernen nachzugeben.

Höre deshalb auf deinen Körper. Gehe an deine Grenzen, spüre und wenn du fühlst, wie dein Körper sich öffnet und dich einlädt, gehe tiefer, bis zur nächsten Grenze. Verweile wieder achtsam und warte auf die nächste Öffnung. Du akzeptierst die Widerstände, die dein Körper dich spüren lässt und nimmst sie an. So spielst du mit deinen Grenzen und erwartest mit jedem sanften Atemzug eine neue Einladung und Öffnung.

Wenn du in eine Yin -Yogapose gehst, vergiss deine Hatha Yogapraxis. Vergiss die Vorstellung, wie du in der Pose aussehen könntest oder welche Figur du machst. Du bist kein Model aus einem Yoga Magazin und dein Yin Yogalehrer wird dich nicht korrigieren, um die „korrekte“ Pose zu erreichen, die in einem Lehrbuch vorgegeben ist. Jeder Mensch hat seine individuellen anatomischen Besonderheiten. Jedes Gelenk hat seinen eigenen Spielraum, jeder Muskel seine spezielle Ausformung, keine Faszie gleicht der anderen und natürlich sind die Menschen unterschiedlich alt und unterschiedlich schlank. Wieso sollte es also dein Ziel sein, deinen Körper in eine erwartete Idealpose zu zwingen.

Benutze deinen Körper nicht , um in eine Pose zu kommen, sondern benutze eine Pose , um in deinen Körper zu kommen.

Wenn du deine Grenzposition erreicht hast, spüre nach, wie sich das anfühlt. Du weißt, dass deine Stellung funktioniert, wenn du die Dehnung, den Druck (Kompression) oder die Drehung fühlen kannst. Um diese drei geht es. Nicht um halten, heben, balancieren, stützen.
Du musst nicht weiter gehen, wenn du die Dehnung, Kompression oder Drehung deutlich spürst. Weiter zu gehen, da geht noch mehr, ist ein Zeichen für dein Ego, nicht Yogapraxis. Da zu verharren, wo du bist, ist Yin.
Allerdings ist das keine Entschuldigung dafür, nicht tief genug zu gehen. Irgendwann kommst du an einen Punkt, an dem du den deutlichen Widerstand deines Körpers wahrnimmst. Dann wird es unbequem oder unangenehm. Aber Yin Yoga soll auch nicht dazu dienen, dir Bequemlichkeit zu bereiten, es soll dich aus deiner Komfortzone bringen, Unbequemlichkeit erzeugen, damit du daraus Nutzen für deinen Körper und deinen Geist ziehen kannst.
So lange du keine Schmerzen verspürst, kannst du es aushalten, in der Position zu bleiben. Schmerz ist immer ein Signal, dass du den Körper zu sehr beanspruchst. Gehe nicht bewusst in den Schmerz, sondern gehe dann aus der Pose. Das musst du selbst entscheiden und mit der Zeit ein Gefühl für die Grenzen deines Körpers entwickeln.


Noch ein Wort zur Verweildauer in der Pose.

Wenn du die Grenze deiner Pose erreicht hast, gibt es für dich nichts weiter zu tun, als zu verharren. Das Gewebe, dass wir im Yin ansprechen, ist nur begrenzt elastisch. Bindegewebe ist nicht für andauernde Bewegungen vorgesehen, es ist eher plastisch. Plastisches Gewebe benötigt längeres Halten mit ausreichender Stärke, um wirkungsvoll stimuliert zu werden. Das Gewebe reagiert nicht auf maximale Beanspruchung für kurze Zeit, das hält es einfach aus.

Yin Yogaposen sollten deshalb länger als eine Minute, besser vier bis fünf Minuten gehalten werden. Es sind aber auch Haltezeiten bis zwanzig Minuten möglich, wenn du ein fortgeschrittener Yin Yogi mit viel Praxis bist.

Wie schon gesagt, sprechen Yinposen andere Bereiche als Hatha-Asanas an. Bei Hatha-Asanas liegt der Fokus vor allem auf den Muskeln, die  zur Erzeugung und Ausführung von Bewegungen und für den Stützapparat des Körpers dienen. Muskeln brauchen dynamische Bewegungsreize und leisten begrenzte Haltearbeit. Statische Dehnung über längere Zeitspanne können die Muskeln schädigen. So wie dynamische, elastische Beanspruchungen das Bindegewebe mit zu hoher Intensität schädigen können. Es versteht sich, dass Hatha-Asanas auch Faszien dehnen und YIN-Komponenten enthalten.  Wir wollen im Yin Yoga vermeiden, Yin und Yang zu vermischen bzw.  im Wechsel auszuführen. Um die Einheit von Yin und Yang herzustellen ist es also ratsam, Yin Yogapraxis und Hatha Praxis zeitlich zu trennen.

Ich wünsche dir für deine Yin Yogapraxis viel Freude - Namaste